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Allgemeine Wirkungen von Shiatsu (Eduard Tripp)

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Ursachen und Wirkungen. Ein Exkurs

Der Arzt Franz Anton Mesmer (1734 – 1815) erklärte die bis dahin rätselhaften Heilungen mit Hilfe von Magnetstahl, Besprechung und Handauflegen durch ein von ihm als „tierischer Magnetismus“ (Magnetismus animalis) bezeichnetes Phänomen. Das Hervorrufen von zahlreichen besonderen Lebenserscheinungen bedürfe, so Mesmer, „eigentlich gar keines Himmels-, Mineral- oder Eisenmagnetismus“, vielmehr genüge die Wirkung des von ihm persönlich ausgehenden „Fluidums“ zur „Magnetisierung“ von Kranken und Menschen im Allgemeinen. Seiner Ansicht nach durchfließt eine Art von Strom (das „Fluidum“) den Organismus und eine ungünstige Verteilung des so bedingten Magnetismus im menschlichen Körper ist die Ursache von Erkrankungen.

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In der von ihm in Paris 1778 errichteten Klinik fanden seine Behandlungen als Gruppentherapie statt und bedeuteten ein geradezu gesellschaftliches Ereignis. Der Behandlungsraum war elegant und kostbar ausgestattet, mit gedämpftem Kerzenschimmer beleuchtet und ein unsichtbares Orchester trug zu einer harmonischen Atmosphäre des Wohlbehagens bei.[1]Mesmer war zum Modearzt der Pariser Gesellschaft geworden, soll aber zugleich auch den Armen geholfen haben, indem er einen Baum im Park magnetisierte und den Mittellosen damit die Gelegenheit bot, … weiterlesen In der Mitte des Saales stand ein hölzerner Trog, Baquet genannt, gefüllt mit Eisenspänen, Glassplittern und Wasser. Gebogene Eisenstäbe ragten aus den Löchern im Deckel und stellten die Verbindung der PatientInnen mit dem angeblich magnetisierten Wasser her. Rund um das Baquet saßen die PatientInnen in mehreren Reihen im Kreis und hielten sich die Hände.

Wenn Mesmer, wie zeitgenössische Quellen berichten, gefolgt von ausgesucht schönen Gehilfen den Saal betrat und mit einem langen vergoldeten Eisenstab die kranken Körperstellen seiner PatientInnen zu berühren begann, herrschte andachtsvolle Stille und Jeder glaubte zu spüren, wie ein heilkräftiger magnetischer Strom von Mesmer in ihren/seinen Körper floss. Manche begannen dabei eine seltsame Wärme zu spüren, andere wiederum „fingen an, mit den Augen zu rollen und zu zucken, die Glieder zu verrenken, zu schreien und um sich zu schlagen“. Dann pflegte Mesmer seinen goldenen Stab beiseite zu legen und seine PatientInnen mit den Augen zu fixieren, wobei er, beim Kopf beginnend, den Körper bis zu den Füßen sanft mit den Fingern bestrich, bis sie eine Erleichterung verspürten. Von seinen Helfern wurden sie dann in einen gepolsterten Raum, das „Krisenzimmer“, gebracht, wo der Krise bald eine wohltuende Erleichterung folgte, „insbesondere wenn den Damen zur Beruhigung die beengenden Mieder aufgeknüpft wurden“. Diesen „magnetischen Krisen“ wurde die eigentliche heilsame Wirkung zugeschrieben, denn dadurch zeigte sich das Eindringen des animalischen Fluidums in den Körper und sein offensichtliches Wirken.[2]Heute würde man bei diesen Krisen von „kathartischen Reaktionen“ oder „hysteriformem Agieren“ sprechen, die wohl sehr stark durch Erwartungshaltungen und Autosuggestionen hervorgerufen … weiterlesen

Die wissenschaftliche Anerkennung seiner Behandlungen blieb Mesmer allerdings versagt. Eine auf Betreiben des Arztes d´Eslon von König Ludwig XIV eingesetzte Kommission zur Erforschung des tierischen Magnetismus[3] Die Kommission wurde 1784 gebildet und bestand aus den Ärzten Gullotin, Jorie und Sallin D´Arcet sowie den Delegierten der Akademie der Wissenschaften Bailly, de Bory, Franklin und Lavoisier. konnte keine Hinweise auf das Wirken einer physikalischen Kraft finden und befand schließlich, dass der von Mesmer entdeckte Magnetismus auf Einbildung beruhe.[4]Mit der Entscheidung der Kommission wurde die magnetische Erklärung als unwissenschaftlich ad acta gelegt und zugleich den französischen Ärzten bei Strafe verboten, über den „Mesmerismus“ … weiterlesen

Die Beschreibung der Behandlung und des Behandlungsumfeldes von Mesmer erinnert nun nicht ganz zufällig an Wohfühlzentren und Shiatsu-Praxen, die mit entsprechender Architektur, mit harmonisch eingerichteten Räumen, Zimmerbrunnen, gedämpftem Licht, Kerzenbeleuchtung, Wohlgerüchen durch Räucherstäbchen oder ätherische Öle, entspannende Musik u.ä.m. für ein Ambiente sorgen, das zum Alltag kontrastiert und, schon vor der eigentlichen Behandlung, Entspannung, Wohlfühlen und Gesundheit signalisieren soll.[5]Analog dazu bedient sich auch der Arzt eines Umfeldes und Auftretens, die den PatientInnen Professionalität, Beruhigung und Zuversicht vermitteln sollen: die Ausstattung der Praxis, die … weiterlesen


Wirkungen und vermeintliche Wirkzusammenhänge

In der Beurteilung von Methoden oder Wirkstoffen bedient sich die wissenschaftliche medizinische Forschung der (randomisierten, zufallsverteilten) Doppelblindstudie. Dabei wird eine Methode oder ein Wirkstoff in gleicher Weise angewendet wie ein Placebo[6]Placebo (lateinisch) bedeutet „ich werde gefallen“ und ist das Anfangswort der römisch-katholischen Seelenandacht für Verstorbene: „Placebo Domino in regione vivorim“ (ich werde dem Herrn … weiterlesen (eine unwirksame Methode oder ein unwirksamer Wirkstoff[7]Als Placebo kann man alles betrachten, was einen positiven Effekt auf das Befinden hat, ohne dass dies auf einem geprüften medizinischen Wirkstoff oder einer überprüften Methode … weiterlesen) und weder BehandlerIn noch PatientIn wissen, ob es sich um ein Verum (die zu testende Methode, der zu testende Wirkstoff) oder ein Placebo handelt. Ein solches Vorgehen ist zwar bei pharmakologischen Wirkstoffen (innerhalb klar definierter ethischer Rahmenbedingungen[8] So sind Placebo kontrollierte Studien nur dann erlaubt, wenn nicht die Gefahr besteht, dass sich die Krankheit ohne Behandlung verschlimmert.) gut anwendbar, nicht jedoch bei einer Methode wie Shiatsu, bei der die Intention ein Teil der Methode ist.

Wirkungen, die durch Überzeugungen und Einstellungen von BehandlerIn und KlientIn hervorgerufen werden, lassen sich aber auch nicht als Einbildungen abtun. Im Fall des „tierischen Magnetismus“ beispielsweise werden diese Effekte heute in der Hypnosetherapie gezielt eingesetzt. Und Placebowirkungen können mit bildgebenden Verfahren mittlerweile auch hirnphysiologisch als „reale Wirkungen“ nachgewiesen werden.[9]Möglicherweise, so zeigten Hirnscans, unterdrückt der durch die Placebogabe angeregte präfrontale Cortex die anschließenden Reaktionen in der Schmerzmatrix. Eventuell, so wird gemutmaßt, wird … weiterlesen

Die polare Gegenüberstellung von Verum (nachweisliche oder nachzuweisende Wirkursache) und Placebo (keine Wirkursache) ist somit kritisch zu betrachten, wobei sich ein vermeintlicher Wirkzusammenhang, aus einem späteren Wissensstand heraus beurteilt, als falsch herausstellen kann. Und manchmal ist es auch umgekehrt, dass eine vermeintliche Placebowirkung, wie sich erst später zeigt, auf nachweisbaren Wirkmechanismen beruht. Auf alle Fälle macht es vor diesem Hintergrund Sinn zu hinterfragen, inwieweit manche der Shiatsu-Wirkungen[10]In Österreich ist Shiatsu, im Unterschied beispielsweise zu Japan, rechtlich betrachtet eine gewerbliche gesundheitsbezogene Tätigkeit, deren Ziel Gesundheitsvorsorge, Entspannung, Regenerierung, … weiterlesen darauf beruhen, dass den KlientInnen Aufmerksamkeit und Zuwendung zuteilwerden und dass Shiatsu-Praktizierende und Shiatsu-Empfangende den Glauben teilen, dass diese Methode wirk- und heilsam ist.[11]Ein wichtiger Aspekt von Placebos ist, dass sie helfen, wenn man an ihre Wirkung glaubt. Auf keinen Fall aber sollen mit dieser Fokussierung auf unspezifische Wirkungen andere Wirkzusammenhänge in … weiterlesen


Gesundheit und Krankheit

Das Grundprinzip moderner naturwissenschaftlicher Medizin beruht auf Befunden, die durch objektive und jederzeit wiederholbare Untersuchungen gewonnen werden. Normalwerte und Abweichungen von diesen Normwerten (Krankheitsdiagnosen), werden als den untersuchten „Objekten“ gleichsam innewohnend betrachtet. Und es besteht die Vorstellung, es gäbe zum einen den gesunden Menschen und zum anderen die krankhafte Veränderung. Krankheiten haben so kaum etwas mit uns als gesunde Menschen zu tun. Unter Umständen durchaus tröstlich, denn während wir insgesamt gesund sind, ist nur ein (kleiner) Teil von uns krank. Wir haben eine Krankheit.

Krankheiten sind Feinde, die von außen kommen, uns bekämpfen und im Krankheitsfall überwältigen.[12]Je mehr Krankheiten entdeckt und erforscht werden, so macht uns die Medizin glauben, umso leichter ist es, den kranken Menschen spezifisch zu behandeln und umso schneller wird er gesund. Man kann … weiterlesen Sie werden von der Medizin „benannt“, und die Diagnostik steckt das Handlungsfeld ab, damit gegen den Feind die geeigneten Strategien und Waffen entwickelt und eingesetzt werden können. In diesem reduktionistischen Zugang der wissenschaftlichen Medizin spiegelt sich zugleich auch die Reduktion des kranken Menschen selbst. Er fühlt sich durch seine Erkrankung reduziert, gestört in seinen „normalen“ Lebensprozessen, nicht mehr „ganz“. Er empfindet Schmerz, fühlt sich „entfremdet“, „außer sich“ und trennt sich, so P. Heintel (1992), gleichsam auf in ein Subjekt, das sich seiner ehemaligen Gesundheit erinnert, und in einen „objektiv“ gestörten „körperlichen“ Zustand. Wegen seiner körperlichen Störung sucht er Hilfe und ist offen für Interventionen von außen. Interventionen, die ihm den „abgespaltenen“ Teil „erklären“ und die ihm die Sicherheit geben, dass dieser eigentlich etwas „Äußeres“, nicht zu ihm Gehörendes ist.

Andererseits aber sind wir krank, fühlen wir uns als ganze Person krank, selten nur in Teilen. Und durch die Trennung zwischen uns als gesunde Menschen und der Krankheit verhindern wir die Krankheit als eigene zu akzeptieren, als besondere Form und Ausdruck unserer Subjektivität, als Hinweis auf uns selbst. Dauerhaft, so kritisieren die Anhänger ganzheitlicher Ansätze, kann niemand von „außen“ geheilt werden. Zur Heilung gehört die Hereinnahme der Krankheit in uns selbst, in Körper, Seele und Geist.

Der ganzheitliche Ansatz geht davon aus, dass auch jede Erkrankung Ausdruck unserer Individualität in ihren vielen Erscheinungsformen ist. Gesund sein ist ein Zustand, krank sein ein anderer. Und so wie es „leichtere“ und „schwerere“ Krankheiten gibt, gibt es auch „gesündere“ und „weniger gesunde“ Lebenszustände, die ein Spektrum von Funktionstüchtigkeit bis hin zu erfülltem Glücksempfinden aufweisen.[13]Ein vergleichbares Verständnis von Gesundheit und Krankheit liegt dem Konzept der Salutogenese von Aaron Antonovsky (vgl. J. Bengel et al., 2001) zugrunde, der Gesundheit – körperliches … weiterlesen

Im ganzheitlichen Verständnis von Gesundheit und Krankheit wird die Vorstellung von der Macht äußerer Eingriffe zugunsten komplexer, sich gegenseitig beeinflussender Lebens-Zusammenhänge aufgegeben. Das Symptom (die „Einzeldiagnose“) bildet nur einen Teil des gesamten „Musters“, der „Gesamtkrankheit“. Wesentlich ist, dass es der ganzheitlichen Medizin weniger um einen Eingriff von außen geht, als vielmehr um eine „immanente Steuerung“.


Krankheiten und ihre gesellschaftlichen Zusammenhänge

Naturwissenschaftliche Medizin gilt weltweit. Sie hat es sich zum Ziel gesetzt, von kulturellen, sozialen und religiösen Normen unabhängige Parameter, Befunde und Diagnosen zu erstellen. Und entsprechend wird eine so diagnostizierte Erkrankung standardisiert (unabhängig vom gesellschaftlichen und sozialen Umfeld) behandelt. Im Unterschied dazu war und ist die traditionelle Medizin eng mit der jeweiligen Kultur verbunden, eingebettet in ihre Vorstellungen und Werte. Auf diesen Kontext kann und will sie nicht verzichten, weil die „Krankheitsursachen“ in mannigfachen sozialen und biologischen Bedingungen anzusiedeln sind.[14]Aus ganzheitlicher Sicht muss eine Diagnose oft mühsam erarbeitet werden. Das differential-diagnostische Instrumentarium hilft hier oft nur zu Beginn der Suche im Sinne einer … weiterlesen

Krankheit und Leid, die aus unseren biologischen Bedingungen herrühren, gehören kollektiv zum Wesen des Menschen, zugleich aber sind sie auch das Schicksal jedes Einzelnen. Das gesellschaftliche und kulturelle Umfeld bestimmt dabei das Verhältnis zwischen diesen beiden Polen.[15]Kulturelle Hintergründe haben einen sehr großen Einfluss auf weite Bereiche unseres Lebens, bis hin zu unserer Wahrnehmung. R.E. Nisbet (2001, 2003) und U. Kühnen (2003) haben nachgewiesen, dass … weiterlesen So gibt es „wir-bezogene“, „kollektiv ausgerichtete Kulturen“ mit weitgehender Entlastung von der Selbstbewältigung des Schicksals auf der einen Seite des Kontinuums und auf der anderen Seite „ich-bezogene“ Kulturen, in denen die Person, die Individualität eine wesentlich größere Rolle spielt. Hier werden bedeutsame Teile an das Ich (zurück-)delegiert, womit das Individuum aber viel von seinem gesellschaftlichen Rückhalt und seiner kollektiven Einbindung verliert. Das Leid, das allen zukommt, muss so vor allem allein bewältigt werden.

Letztlich gibt es keine Anleitung, kein Rezept, um diesen Widerspruch in uns zu bewältigen. Der Riss, der mitten durch uns hindurchgeht, muss jeweils von uns selbst und individuell bewältigt werden. Krankheit wurzelt, so betrachtet, auch in schlechter oder misslungener Bewältigung dieser Differenz. So führen hohe Anforderungen der Individualisierung und Differenzierung zu einer potentiellen Überforderung des Körpers durch das Ich. Damit sind aber nicht nur Leistung, Stress, Zeitdruck, Körperdisziplinierung u.ä.m. gemeint. Weil es nicht möglich ist, dass der Geist sich verändert und der Körper davon unbehelligt bleibt, schwingt der Körper als „ganzer“ dabei mit und formt sich zu einer „Entsprechung“.

Behandlung bedeutet deshalb kommunikative Arrangements zu setzen, in denen die BehandlerIn mitleben, mitleiden, sich mitfreuen und Anteil nehmen kann. Und so werden Heilungs- und Gesundungsprozesse in Gang gesetzt. Das Ziel der Interventionen ist es, das Individuum, dessen Leid darin besteht, seinen Anschluss an die größere Wirklichkeit verloren zu haben, wieder zu ihr zurückzuführen.[16]Im Verständnis der Salutogenese könnte man auch formulieren, dass über die Anbindung an eine größere Wirklichkeit die Grundhaltung des Menschen gegenüber der Welt und gegenüber seinem eigenen … weiterlesen


Die frühe Erfahrung der Welt

Die frühesten Erfahrungen der letztlich allumfassenden Verbundenheit mit der Welt machen wir bereits im Mutterleib. In dieser Lebensphase erwerben wir die Basis des, um mit Bela Grunberger (1976) zu sprechen, „erhebend-erhabenen“ Gefühls, in dem es keine Bedürfnisse und nichts außerhalb oder getrennt von uns gibt. Mit der Geburt aber kommt es zu einer radikalen Veränderung. Der Säugling wird in eine „unzulängliche“ Welt hinein geboren, in eine Welt voller Bedürfnisse, Notwendigkeiten und Schwierigkeiten. Allein aus sich heraus ist der neugeborene Mensch unfähig zu überleben. Er bedarf der Fürsorge und Bemutterung, die aber nie in gleicher Weise vollkommen ist wie die vorgeburtliche Existenz, nie vollkommen sein kann, weil das nachgeburtliche Leben durch Bedürfnisspannung und -befriedigung geprägt ist, durch Spannung und Entspannung.

Sind die Erfahrungen des Säuglings hinlänglich gut, erlebt er sein Umfeld versorgend, verlässlich und einfühlsam, so gewinnt der Säugling Vertrauen zur Welt und emotionale Einbindung in die Welt. Er wird Teil der Welt. Wenn er sich aber in seinem Umfeld ungeborgen fühlt und sich von ihm getrennt erlebt, wird er der Welt gegenüber misstrauisch und ablehnend sein.

Diese grundlegende Einbindung in die Welt erfolgt sehr früh in unserem Leben, zu einem Zeitpunkt, in dem wir noch nicht über die Möglichkeiten der Sprache verfügen. Wir machen diese Erfahrungen vor allem körperlich, im direkten Kontakt mit unseren Betreuungs- und Bezugspersonen. Und diese frühen Erfahrungen werden in der körperlichen Berührung des Shiatsu angesprochen. Stimuliert, wenn eine entsprechende Basis vorhanden ist, und gefördert, wenn Defizite vorhanden sind. Achtsam umsorgt zu werden, willkommen zu sein und Teil einer Welt zu sein, die wohlwollend und lebenswert ist, kann so, ganz nonverbal erfahren werden.


Selbsterfahrung als Voraussetzung für professionelle Begleitung

Und so wird es (auch) zur Aufgabe der Shiatsu-BehandlerIn, zwischen dem Individuum und „der Welt“ zu vermitteln. Dafür zu sorgen, dass der Zusammenhang mit den Menschen und die Anschlussfähigkeit an die Welt nicht abreißen.[17]Der Religionsphilosoph Martin Buber (1923) sieht den Mensch in zweierlei Bezug zur Welt, in einer Ich-Du- und einer Ich-Es-Beziehung. Während man sich in der Ich-Es-Beziehung von der Welt getrennt … weiterlesen Die BehandlerIn wird damit zu einer „BetreuerIn der Zwischenwelt“, jenes Bereichs, der uns mit den Anderen verbindet. Sie wird zu einer „GrenzgängerIn“, die sich auf diese Zwischenwelt einlässt, um als Instrument oder Wegweiser in diesem Bereich wirksam zu werden und Kommunikation und Begegnung zu fördern. Achtsamkeit und Respekt vor den Menschen, die man begleitet, sind deshalb von großer Bedeutung. Um ihre Aufgabe professionell zu erfüllen, so dass die Entwicklung der KlientInnen gefördert und nicht behindert wird, ist Selbsterfahrung im Sinne von Selbstreflexionsfähigkeit für Shiatsu-PraktikerInnen eine essentielle Voraussetzung.


Selbstregulation durch Stärkung des psychophysischen Kerns


Rene Spitz hat schon in den Fünfziger-Jahren des 20. Jahrhunderts aufgezeigt, dass die primäre Art und Weise des Säuglings die Welt zu erfahren und mit ihr zu kommunizieren anders ist, als wir sie (im Normalfall) als Erwachsene kennen. Diese frühe Form der Wahrnehmung und Kommunikation bezeichnet Spitz als coenästhetisch. Hier stehen, ähnlich wie in der Shiatsu-Begegnung, Haut- und Körperkontakt, Schwingung, Rhythmus, Spannung und Entspannung, Körperhaltung, Temperatur und Stimmlage im Vordergrund– letztlich die glatte (unwillkürliche) Muskulatur und das Autonome Nervensystem.

Im Laufe unserer Entwicklung allerdings tritt die coenästhetische Erlebniswelt in den Hintergrund, die unterscheidende (diakritische) Wahrnehmung mit ihrer Betonung der quergestreiften (willkürliche) Muskulatur, des Zentralen Nervensystems, des logischen Denkens und der optischen Wahrnehmung wird dominierend. Dennoch, wenngleich vielfach verborgen, bleibt die coenästhetische Welt als innerer Kern des Erlebens von entscheidender Bedeutung für unser Leben.[18]Anders als die (klassische) Psychoanalyse, der zufolge eine Entwicklungsphase durch die nächste abgelöst wird, werden in der modernen Säuglingsforschung (ähnlich wie es Spitz gesehen hat) … weiterlesen

Shiatsu hat das Potential, den inneren, psychophysischen Kern der behandelten Menschen zu stärken. Wärme, Rhythmus und Konstanz bilden dabei, so der Ansatz von G. Bartl (1984, 1989), die wesentlichen Qualitäten, die in der frühen Lebenszeit des Säuglings aufgefüllt werden müssen, damit eine solide Grundlage für die harmonische Reifung und Entwicklung gegeben ist – und damit auch gute Voraussetzungen für eine psychische und physische Gesundheit.[19]Die adäquate Erfahrung von Wärme (vermittelt durch Zuneigung und Achtsamkeit), weder Mangel noch Überangebot, bildet die Basis für Vertrauen in die Welt und Genussfähigkeit. Adäquater Rhythmus … weiterlesen

Durch seinen körperlich-emotionalen Zugang stärkt Shiatsu Wärme (durch die zugewandte und achtsame Berührung), Rhythmus (durch den Rhythmus der Arbeit, die Stärkung körpereigener Rhythmen) und Konstanz (durch das im Kern gleich bleibende Setting, die grundlegend gleich bleibende Unterstützung). Damit schafft es, ganz unspezifisch und zugleich doch sehr spezifisch, die Voraussetzungen für selbstregulative Vorgänge, die ihrerseits Gesundheit und Entwicklung unterstützen und fördern.


Quellen

  • Bengel, J., Strittmatter, R. & Willmann, H. (2001): Was erhält Menschen gesund? Antonovskys Modell der Salutogenese – Diskussionsstand und Stellenwert. Forschung und Praxis der Gesundheitsförderung Band 6, Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.
  • Bartl, G. (1984): Der Umgang mit der Grundstörung im Katathymen Bilderleben. In: J.W. Roth (Hg) – Konkrete Phantasie. Verlag Hans Huber.
  • Bartl, G. (1989): Strukturbildung im therapeutischen Prozess. G. Bartl & F. Pesendorfer (Hg) – Strukturbildung im therapeutischen Prozess. Literas Universitätsverlag.
  • Brown, W. A. (1998): Der Placebo-Effekt. In: Spektrum der Wissenschaft 3/1998, S. 68.
  • Buber, M. (1923): Ich und Du.
  • Grunberger, B. (1976): Vom Narzissmus zum Objekt. Suhrkamp Verlag.
  • Heintel, P. (1992): Warum gibt es nur eine Gesundheit und so viele Krankheiten? Vortrag in Bad Gastein, September 1992; abgedruckt in Imagination 3a, 1992, S. 5.
  • Hontschik, B. (2006): Körper, Seele, Mensch. Versuch über die Kunst des Heilens. Suhrkamp Verlag.
  • Mäder, Alexander (2004): Der Schein heilt. In: Gehirn & Geist 5/2004, S. 28.
  • Masuda, T. & Nisbett, R.E. (2001): Attending Holistically Versus Analytically. In: Journal of Personality and Social Psychol. 81, S. 922.
  • Mosley, J.B. et al. (2002): A Controlled Trial of Arthroscopic Surgery for Osteoarthritis of the Knee. In: New England Journal of Medicine 347, S. 1717.
  • Nisbett, R.E., Peng. K, Choi, I. & Norenzayan A. (2001): Culture and Systems of Thought. In: Psychological Review 108, S. 291.
  • Nisbett, R.E. (2003): The Geography of Thought. Nicholas Brealy Pbul. Ltd.
  • Kühnen, U. (2003): Denken auf asiatisch. In: Gehirn und Geist 3, S. 10.
  • Spitz, R.A. (1945): Diacritic and coenesthetic organizations. In: Psychoanal. Rev. 32.
  • Spitz, R.A. (1992): Vom Säugling zum Kleinkind. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart (Originalausgabe: The First Year of Life, 1965)
  • Stern, D.N. (1992): Die Lebenserfahrung des Säuglings. Verlag Clett-Cotta.
  • Tepperwein, K. (1977): Die hohe Schule der Hypnose. Ariston Verlag.
  • Toifl, K. (2004): Lebensfluss zwischen gesund und krank. Facultas Verlag.
  • Tripp, E. (2003, 2004): Shiatsu aus der Sicht der Psychotherapie 1 – 4 Shiatsu Journal Nr. 34 – 37.

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© Dr. Eduard Tripp, Shiatsu Senior Teacher, Psychotherapeut und Supervisor (www.eduard-tripp.at)

Anmerkungen

Anmerkungen
1 Mesmer war zum Modearzt der Pariser Gesellschaft geworden, soll aber zugleich auch den Armen geholfen haben, indem er einen Baum im Park magnetisierte und den Mittellosen damit die Gelegenheit bot, sich über Seile mit seiner magnetischen Kraft zu verbinden.
2 Heute würde man bei diesen Krisen von „kathartischen Reaktionen“ oder „hysteriformem Agieren“ sprechen, die wohl sehr stark durch Erwartungshaltungen und Autosuggestionen hervorgerufen wurden.
3 Die Kommission wurde 1784 gebildet und bestand aus den Ärzten Gullotin, Jorie und Sallin D´Arcet sowie den Delegierten der Akademie der Wissenschaften Bailly, de Bory, Franklin und Lavoisier.
4 Mit der Entscheidung der Kommission wurde die magnetische Erklärung als unwissenschaftlich ad acta gelegt und zugleich den französischen Ärzten bei Strafe verboten, über den „Mesmerismus“ auch nur zu diskutieren. Nicht widerlegt werden konnten von der Kommission allerdings die Heilerfolge Mesmers und zur gleichen Zeit hatte die Magnetismus-Bewegung schon eine solche Eigendynamik entwickelt, dass sie sich in Laienkreisen nicht nur in Frankreich, sondern bald über ganz Europa ausbreitete. In mehreren französischen Städten wurden so genannte „Harmonies“ gegründet, die Mesmers Methoden propagierten. Letztlich aber entwickelte sich aus Mesmers Ansatz eine neue Richtung, die Methode der Suggestion, die insbesondere in Frankreich wissenschaftlich erforscht wurde. Durch James Braid (1795 – 1893) und Jean Martin Charcon (1825 – 1893) wurden einige der von Mesmer geahnten Wirkvorgänge als Lehre vom Hypnotismus in die wissenschaftliche Forschung einbezogen. Und die Lehre Mesmers wurde zum Ausgangspunkt zweier großer Bewegungen in der Psychologie, der Hypnose und der Psychoanalyse.
Mit der Ausgestaltung der Theorie der Suggestion postulierte die Schule von Nancy einen Denkansatz, der der Epoche völlig zuwiderlief. Während man bislang bemüht war, das ganze Geistesleben auf Körperliches zurückzuführen, begannen A.A. Liebeault und Hypoeyte Bernheim, beides Vertreter der Schule von Nancy, psychologische Deutungen sogar in die Medizin einzuführen. Mit dem Verständnis, dass die Suggestion eine Vorstellung ist, die sich als Tat verwirkliche, wird Seelisches als mögliche Ursache im exakt wissenschaftlichen Sinne anerkannt (d.h Seelisches wirkt nach den Naturgesetzen nicht nur auf andere seelische Bereiche, sondern auch auf den Körper) und eine Heilung vom Geist her angestrebt. In gewissem Sinne begann mit Mesmer das „psychologische Zeitalter“.
Aber auch in den vor allem amerikanischen christlichen Glaubensgemeinschaften wurde das Wirken von Mesmer aufgegriffen. Dort versuchte man den Einfluss des Geistigen auf das Körperliche zu erfassen und beschäftigte sich mit „geistigen Heilverfahren“, wie beispielsweise in der Kirche der „Christian Science“ (begründet von Frau Eddy, die von einem Schüler Mesmers behandelt worden war). In dieser Gemeinschaft werden Krankheiten „weggedacht“, indem man den Kranken zur Überzeugung bringen möchte, dass es Körperliches überhaupt nicht gibt, sondern nur den Geist. Ein Krankheitszustand ist in diesem System einfach nur ein falscher Gedankengang, der durch richtiges Denken behoben werden kann.
5 Analog dazu bedient sich auch der Arzt eines Umfeldes und Auftretens, die den PatientInnen Professionalität, Beruhigung und Zuversicht vermitteln sollen: die Ausstattung der Praxis, die Ärztekleidung, die Ausstrahlung von Fachkompetenz, die Zuwendung und das Schaffen einer Vertrauensbasis sowie bestimmte Diagnose- und Behandlungsrituale, wozu nicht zuletzt auch das Verschreiben von Medikamenten gehört.
Kranksein besteht nicht nur darin, dass im Körper etwas in Unordnung ist, sondern auch darin, dass Leid und Unwohlsein in vieler Hinsicht vorhanden sind. Daher ist es beispielsweise im Sinne von Walter A. Brown (1998) durchaus legitim, auch Pillen ohne Wirkstoffe (Placebos) und andere Symbole ärztlicher Heilkunst zum Wohle der PatientInnen zu nutzen.
6 Placebo (lateinisch) bedeutet „ich werde gefallen“ und ist das Anfangswort der römisch-katholischen Seelenandacht für Verstorbene: „Placebo Domino in regione vivorim“ (ich werde dem Herrn wohlgefällig sein im Lande des Herrn). Im 12. Jahrhundert nannte man diese Handlung kurz Placebo, und im 14. Jahrhundert hat sich die Bedeutung in eine abschätzige gewandelt: So schimpfte man nun Kriecher und Speichellecker. Vermutlich rührte das vom Berufsstand der Placebo-Kantoren her, die den Trauergesang gegen Geld vortrugen.Als das Wort in die Medizin einging, behielt es seinen abfälligen Beiklang und man bezeichnete damit, so eine Definition von 1811, alle Arten von Arzneien, die mehr zum Zwecke der Gefälligkeit als des therapeutischen Nutzens verschrieben wurden.
7 Als Placebo kann man alles betrachten, was einen positiven Effekt auf das Befinden hat, ohne dass dies auf einem geprüften medizinischen Wirkstoff oder einer überprüften Methode basiert.Placebo-Wirkungen sind aber nicht nur Scheinmedikamenten eigen, sondern lassen sich auch bei Operationen nachweisen: So fand Bruce Moseley vom Houston Veterans Affairs Medical Center in Texas (2002) dass bei bestimmten Kniebeschwerden eine Placebo-Operation (die Operation wurde nur vorgetäuscht, es wurden aber die üblichen Schnitte für den arthroskopischen Eingriff gemacht und die Wunde nach dem Scheineingriff vernäht) genauso wirksam war, wie die Standardoperation, bei der das Kniegelenk ausgespült wird, um abgeriebene Knorpelstückchen zu entfernen.
8 So sind Placebo kontrollierte Studien nur dann erlaubt, wenn nicht die Gefahr besteht, dass sich die Krankheit ohne Behandlung verschlimmert.
9

Möglicherweise, so zeigten Hirnscans, unterdrückt der durch die Placebogabe angeregte präfrontale Cortex die anschließenden Reaktionen in der Schmerzmatrix. Eventuell, so wird gemutmaßt, wird durch Placebos auch die Produktion des Neurotransmitters Dopamin angeregt, der uns motiviert und zu Handlungen antreibt. Und möglicherweise wird durch die Placebogabe auch die Freisetzung der schmerzstillenden Endorphine stimuliert. Es ist allerdings ein Fehlglaube, dass Placebos keine Nebenwirkungen hätten. So klagen PatientInnen durchaus über typische Nebenwirkungen. Sogar Entzugserscheinungen lassen sich beim Absetzten der Scheinmedikamente beobachten.
Auffällig ist, so Walter A. Brown (1998), dass Placebos am zuverlässigsten bei Leiden helfen, auf deren Symptome sich Stress direkt auswirkt. Das gilt über Depressionen und Angstzustände hinaus auch für Schmerzen und andere Beschwerden, die sich bei Aufregung verschlechtern, wie beispielsweise Asthma oder mäßig erhöhter Blutdruck. Hier könnte die Wirkung des Placebos, so wird vermutet, auf der Minderung der Besorgnis um die Erkrankung beruhen. Nachweislich nämlich beeinträchtigen Stress-Situationen das Immunsystem, es erhöht sich der Cortisol-Spiegel im Blut und die Abwehrkraft sinkt.

Aus der Sicht der Komplexitätstheorie nimmt Information eine zentrale Rolle im Prozess der Selbstorganisation komplexer Systeme ein, wobei Information sowohl über Materie (z.B. Infusion, Medikament, chirurgischer Eingriff) als auch über Energie (z.B. optische oder akustische Wellen, taktile oder geschmackliche Signale) vermittelt wird. Für das komplexitätstheoretische Verständnis von Placebos muss das Ursache-Wirkungsprinzip (eine bestimmte Ursache hat eine immer gleiche Wirkung) erweitert werden durch die Bedeutung, die der jeweiligen Ursache erteilt wird.
Jedes Lebewesen erteilt allem, was es in seiner Umgebung wahrnimmt, und besonders jedem Zeichen (Information), das es aus der Konstruktion seiner Lebenswelt heraus aktiv oder passiv aufnimmt, eine Bedeutung (Erkennen ist immer ein Interpretieren von Zeichen, die für den Erkennenden verfügbar sind. Bei diesem Interpretationsvorgang kann man entweder das Richtige treffen – Passung – oder sich irren – Passungsstörung). Und diese Bedeutungserteilung, d.h. Interpretation der Zeichen, ist ein grundlegend wichtiger Vorgang, der über die Entfaltung einer Wirkung entscheidet. Jede zwischenmenschliche und therapeutische Intervention und die dadurch ausgelöste Wirkung enthalten sowohl einen physiko-chemischen Anteil als auch einen Anteil, der sich durch die Bedeutungserteilung ergibt (analog enthält jede Kommunikation einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt). Eine starke und anhaltende Wirkung ergibt sich deshalb vor allem dann, wenn die physiko-chemische Wirkung und die Wirkung der Bedeutungserteilung in die gleiche Richtung weisen.

10 In Österreich ist Shiatsu, im Unterschied beispielsweise zu Japan, rechtlich betrachtet eine gewerbliche gesundheitsbezogene Tätigkeit, deren Ziel Gesundheitsvorsorge, Entspannung, Regenerierung, Vitalität und Wohlbefinden sind, in keinem Fall jedoch die Behandlung von Erkrankungen in einem medizinischen Sinn.
11 Ein wichtiger Aspekt von Placebos ist, dass sie helfen, wenn man an ihre Wirkung glaubt. Auf keinen Fall aber sollen mit dieser Fokussierung auf unspezifische Wirkungen andere Wirkzusammenhänge in Frage gestellt werden. Im Gegenteil: Jede Methode enthält immer viele allgemeine und spezifische Komponenten.
12 Je mehr Krankheiten entdeckt und erforscht werden, so macht uns die Medizin glauben, umso leichter ist es, den kranken Menschen spezifisch zu behandeln und umso schneller wird er gesund. Man kann aber, so P. Heintel (1992), durchaus auch davon ausgehen, dass die vielen Krankheiten, die die moderne Medizin benennen und behandeln kann, mehr noch als dem Kranken dem Gesunden dienen, der dadurch beruhigt ist, dass im Notfall andere wissen, was mit ihm zu tun ist. Dieses Wissen im Hintergrund und das darauf beruhende freiere Leben halten ihn gesünder, als wenn er beständig Angst hätte.
13 Ein vergleichbares Verständnis von Gesundheit und Krankheit liegt dem Konzept der Salutogenese von Aaron Antonovsky (vgl. J. Bengel et al., 2001) zugrunde, der Gesundheit – körperliches Wohlbefinden und Krankheit – körperliches Missempfinden als zwei Pole auf einem Kontinuum betrachtet, wobei jeder Mensch, selbst wenn er sich als gesund erlebt, immer auch kranke Anteile in sich hat. Und selbst der schwer kranke Mensch hat immer auch gesunde Anteile in sich.
14 Aus ganzheitlicher Sicht muss eine Diagnose oft mühsam erarbeitet werden. Das differential-diagnostische Instrumentarium hilft hier oft nur zu Beginn der Suche im Sinne einer Aufmerksamkeitserweiterung oder „Suchhaltung“. Diagnostik bedeutet ein „Sprachangebot“, beschreibt mögliche Pfade, die man gemeinsam gehen kann, und hilft Kommunikationsverhältnisse zu arrangieren. Wichtiger als das Finden von Krankheitserscheinungen ist die Suche nach (möglichst vielen) „Anschlussmöglichkeiten“, die Eröffnung neuer Wege.
15 Kulturelle Hintergründe haben einen sehr großen Einfluss auf weite Bereiche unseres Lebens, bis hin zu unserer Wahrnehmung. R.E. Nisbet (2001, 2003) und U. Kühnen (2003) haben nachgewiesen, dass sich asiatische und westliche Kulturangehörige – genetische Ursachen konnten dabei definitiv ausgeschlossen werden – selbst in ihrer Wahrnehmung unterscheiden. Westlich geprägte Menschen, die in einer Kultur leben, die deutlich vom Individualismus geprägt ist, fällt es signifikant leichter, den Kontext zu ignorieren. Asiatische Kulturangehörige hingegen sind viel stärker eingebunden in soziale Netze, in Familie, Arbeits- und Dorfgemeinschaft. Sie erleben sich in einem stetigen Austausch und Wandel und beziehen das Umfeld auch in ihrer Wahrnehmung deutlich stärker ein.
16 Im Verständnis der Salutogenese könnte man auch formulieren, dass über die Anbindung an eine größere Wirklichkeit die Grundhaltung des Menschen gegenüber der Welt und gegenüber seinem eigenen Leben verändert wird. Antonovsky bezeichnet die grundlegende Lebenseinstellung, das Leben als zusammenhängend und sinnvoll zu erleben, als Kohärenzgefühl, das auf drei Faktoren beruht: dem Gefühl der Verstehbarkeit (sense of comprehensibility), dem Gefühl der Bewältigbarkeit (sense of manageability) und dem Gefühl der Bedeutsamkeit (sense of meaningfulness).
17 Der Religionsphilosoph Martin Buber (1923) sieht den Mensch in zweierlei Bezug zur Welt, in einer Ich-Du- und einer Ich-Es-Beziehung. Während man sich in der Ich-Es-Beziehung von der Welt getrennt erlebt, sie beobachten und mit ihr umgehen kann, ist man in der Ich-Du-Beziehung eins mit ihr, gibt es nichts außerhalb von uns.
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Anders als die (klassische) Psychoanalyse, der zufolge eine Entwicklungsphase durch die nächste abgelöst wird, werden in der modernen Säuglingsforschung (ähnlich wie es Spitz gesehen hat) unterschiedliche Ebenen des Selbstempfindens als simultane Bereiche betrachtet. Zu jedem Zeitpunkt findet das subjektive Erleben sozialer Interaktionen immer in allen Bereichen der Bezogenheit statt – unabhängig davon, ob man ihnen Aufmerksamkeit schenkt (D. Stern, 1992). Verkümmert die coenästhetische Wahrnehmungswelt (z.B. durch Überbetonung der rationalen Wertewelt), geht dies mit einer inneren, emotionalen und letztlich auch geistigen Verarmung einher. Gefördert wird diese innere, auch unsere Intuition betreffende Welt durch Rhythmus, Klang, Achtsamkeitsübungen, Shiatsu u.ä.m.

19 Die adäquate Erfahrung von Wärme (vermittelt durch Zuneigung und Achtsamkeit), weder Mangel noch Überangebot, bildet die Basis für Vertrauen in die Welt und Genussfähigkeit. Adäquater Rhythmus gibt Halt und Sicherheit, unterstützt die Gewahrwerdung von Form und Grenzen. Konstanz wiederum festigt die Erfahrungen von Wärme und Rhythmus, macht sie beständig und bildet die Basis für reife und beständige, verlässliche Beziehungen.